Abseits der Zeit
Auf dem bayerischen Schloss Neuschwanstein lebt die junge Küchenhilfe Emma ein arbeitsreiches, von strengen Regeln bestimmtes Leben. Ein Tag scheint wie der andere. Harte Strafen drohen denjenigen, die sich den Regeln widersetzen. Doch Emma hat ein schreckliches Geheimnis.
Dann kam Paul, der eine unglaubliche Wahrheit offenbarte.
Können sie zusammen den Bann brechen?
Können sie alleine über ihr eigenes Schicksal entscheiden? Oder werden sie für immer Gefangene der Zeit bleiben?
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Eine weitere Dämmerung ist gekommen und nun ist es an der Zeit, dass wir uns in unsere Zimmer zurückziehen. Die Zeiger der großen Küchenuhr zeigen kurz nach 6:00 Uhr, als ich Frau Hofbauer mit einem Blick signalisiere, dass ich vorhabe zu gehen, und sie nickt zustimmend und schenkt mir ein Lächeln.
Ich gehe aus der Küche und steige die Stufen der schmalen Personaltreppe in das obere Stockwerk hinauf, wo sich unsere Zimmer befinden. Obwohl ich durch den Flur eile, bleibe ich einen Moment am Fenster an der Rückseite des Gebäudes stehen, der
Versuchung erlegen, einen flüchtigen Blick nach draußen zu erhaschen.
Der Himmel im zwielichten Grau ist von eisigen Wolken bedeckt. Ich bleibe noch einen weiteren Moment stehen und schaue aus dem Fenster, obwohl ich weiß, dass die beiden Wächter der letzten Nachtpatrouillenschicht gleich hinter mir erscheinen werden.
Ihre rhythmischen Schritte, die wie zur Warnung immer lauter werden, treiben mich weiter.
Ich erreiche mein Zimmer, öffne die Tür und schlüpfe auf Zehenspitzen hinein.
Als ich die Tür hinter mir schließe, berührt mich der gefrorene Atem der Dunkelheit.
Obwohl alle Räume über Strom verfügen, dürfen wir ihn aus wirtschaftlichen Gründen nicht nutzen, worauf uns Hubert Senker, der für den Energieverbrauch verantwortlich ist, oft genug hinweist. Ich mache ein paar blinde Schritte in Richtung des kleinen Holztisches an der gegenüberliegenden Wand, bewege mich tastend
zwischen den beiden Einzelbetten, um die alte, schwarz verrußte Gaslampe mit dem trüben Glas anzuzünden, die die Hofbauer dort hingestellt hat.
Wegen meiner müden, vom Wasser schrumpelig aufgeweichten Finger erfordert es viel Kraft und mehrere Versuche, bis die Lampe brennt. Als ich es schließlich schaffe, ist das spukhafte, unheimliche Licht schwach, erhellt den Raum jedoch gerade genug, damit ich und Frau Hofbauer nicht über die spärlichen Möbel stolpern.
Ich seufze traurig und lasse mein langes schwarzes Kleid auf den Boden über meine schmerzenden Füße fallen. Erschöpft sitze ich auf der Bettkante meines Bettes.
Meine Beine brennen vom nächtelangen Stehen in der Küche. Es herrscht totale Stille. In Gedanken versunken reibe ich mechanisch meine Waden und versuche sie etwas zu entspannen. Die schwach flackernde Flamme wirft grässliche Schatten auf die nackte Wand des Raumes , verhärmte Gestalten, die durch die Bedrohung der
Dämmerung genährt werden.
Das verriegelte Fenster und die geschlossenen Fensterläden halten das erste Licht der Morgendämmerung hartnäckig fern und lassen mich allein mit dem muffigen Geruch der Isolation. Für einen Moment kämpft meine Fantasie mit fiebriger Sehnsucht darum, die grauen Steine der Wand zu durchdringen. Nach draußen, wo der Tag anbricht und der Himmel die Dunkelheit von sich abwerfen wird.
Schnupper in den ersten Kapitel des Buches
Als Ebook & Taschenbuch verfügbar
501 Seiten